Islam und christlicher Glaube - ein Vergleich Teil 1

Dr. Christine Schirrmacher ist habilitierte Islamwissenschaftlerin und lehrt als Professorin für Islamwissenschaft an verschiedenen Universitäten, ist Gastdozentin des Auswärtigen Amtes sowie verschiedener Landes- und Bundesbehörden der Sicherheitspolitik sowie Leiterin des „Instituts für Islamfragen“ der Deutschen Evangelischen Allianz. In der folgenden Betrachtung zeigt sie uns einige Punkte auf, über die Nachdenken lohnt. Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe.
Wo liegen die Unterschiede zwischen Islam und Christentum? Glauben Christen und Muslime ungefähr dasselbe, wenn sie den Schöpfer und Richter der Welt verehren?
Der Islam ist in aller Munde, der „Islamische Staat“ (IS) sowieso. Aber der Islam ist nicht nur gesellschaftliches System und Politik, sondern auch Religion. Was glauben Muslime denn eigentlich?
Christen sollten über den Glauben der rund 4 bis 4,3 Mio. Muslime in Deutschland Bescheid wissen. Nicht wenige Christen treibt ein
Gefühl von Fremdheit und Unsicherheit gegenüber Muslimen um, manche sogar Angst. Ist Terrorismus ein Kennzeichen des Islam oder lediglich der Interpretation einiger extremistischer Gruppen
zuzuschreiben? Schreitet die Islamisierung Europas voran oder ist diese Sichtweise unbegründet? Vor diesem Hintergrund ist das Verhältnis zu muslimischen Nachbarn oder Mitstudenten oft von Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit gekennzeichnet.
Auch auf die häufig gestellte Frage, ob Muslime und Christen im wesentlichen ähnliche Glaubensinhalte teilen, werden unterschiedliche Antworten gegeben. Einmal werden die Unterschiede betont, einmal die Gemeinsamkeiten. Von den Befürwortern des Glaubens an den „einen Gott“ werden Islam und Christentum als „abrahamitische“ Religionen bezeichnet, also als Religionen, die sich auf Abraham als Stammvater berufen. Und
tatsächlich erzählt der Koran nicht nur von Abraham (arabisch: Ibrahim), sondern auch von Adam und seiner Frau im Paradies, von Mose und dem Volk Israel und dem Durchzug durch das Meer. Er erwähnt auch Jesus, Maria und Johannes. Häufig verwendet der Koran Begriffe wie Sünde, Vergebung, Gericht und Paradies, die
Christen aus dem biblischen Kontext vertraut sind – dennoch sind die Unterschiede zwischen Islam und christlichem Glauben gravierend.
Woher stammen die Berührungspunkte zwischen Islam und Christentum?
Als Muhammad den Islam ab etwa 610 n. Chr. auf der arabischen Halbinsel in Mekka verkündigte, berief er sich auf göttliche Visionen und Eingebungen und bezeichnete sich als ein von Gott gesandter Prophet. Diese Botschaften motivierten ihn, seine arabischen Landsleute, die einem animistischen Vielgötterglauben anhingen, zur Umkehr zu dem einen Gott zu rufen. In seinem Umfeld kam Muhammad mit jüdischen und christlichen Gruppierungen in Kontakt und hörte manches vom jüdischen und christlichen Glauben; einiges aus dem Alten und Neuen Testament, anderes aus apokryphen Schriften. Davon übernahm er etliche Elemente in den Koran. Muslime beurteilen das natürlich anders. Für sie ist der Koran von Anfang bis Ende geoffenbartes Gotteswort.
Im Koran begegnen uns fast 20 alt- und neutestamentliche Personen wie Adam, Abraham, Mose, Hiob, David, Johannes der Täufer und natürlich Jesus Christus. Die biblischen Berichte über das Wirken dieser Personen sind im Koran allerdings teilweise stark verändert und umgedeutet worden, da Muhammad diese Personen als Vorbilder benutzte, um seine eigene Sendung als Prophet zu begründen. So wie Gott schon in früheren Zeitaltern Propheten mit der Verkündigung seiner immer gleichlautenden Botschaft beauftragt hatte, so habe Gott als letzten Propheten Muhammad zu dem Volk der Araber gesandt. Seine Mission: Aufruf zur Verehrung des einen Gottes und die Ankündigung eines baldigen Gerichts.
Für einen echten Vergleich ist es wichtig, Kernaussagen von Islam und Christentum einander gegenüberzustellen. Unterschiede werden offensichtlich, wenn es um Grundfragen geht – die Frage, wie ein Mensch errettet werden kann beispielsweise.
Oberflächlich betrachtet, macht der Koran zwar viele ähnlich lautende Aussagen wie die Bibel, beispielsweise über die Schöpfung oder das Jüngste Gericht, Hölle und Paradies, Existenz von Engeln und Teufeln oder den Propheten. Aber wenn diese Aussagen inhaltlich etwas näher beleuchtet werden, kommen gravierende inhaltliche Unterschiede zu Tage.
Sündenfall und Erbsünde
Christlicher Glaube:
Adam und Eva übertraten Gottes Gebot im Paradies und brachten damit die Sünde, den Tod und die Trennung von Gott für alle Menschen in die Welt. Der Mensch ist durch die Erbsünde getrennt von Gott (Röm 3,20). Versöhnung mit Gott ist nur durch Jesu Erlösungstod möglich (2 Kor 5,18-19).
Muslimischer Glaube:
Auch der Koran enthält eine Paradieserzählung. Adam sündigte im Paradies, als er die verbotene Frucht aß. Das hatte jedoch keine weiteren Folgen für die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Gott vergab Adam seine Sünde. Der Mensch wurde durch den Fehltritt kein grundsätzlich anderer und auch nicht von Gott getrennt. Der Koran kennt keinen Sündenfall im eigentlichen Sinn und keine Erbsünde.
Sünde und Sündlosigkeit
Christlicher Glaube:
Alle Sünde richtet sich in erster Linie gegen Gott, denn sie ist Auflehnung gegen Gottes Ordnungen. Zusätzlich zieht die Sünde die Beziehungen der Menschen untereinander in Mitleidenschaft. Streit, Neid, Lüge und Misstrauen bestimmen die Beziehungen von Menschen seit dem Sündenfall. Da alle Menschen von diesen Auswirkungen betroffen sind, gibt es keinen sündlosen Menschen.
Muslimischer Glaube:
Sünde betrifft Gott nicht. Sünde richtet sich in erster Linie gegen den Menschen, der sie begangen hat. Der Koran sagt: „Sie frevelten gegen sich selbst.“ (Sure 17,7) Der Mensch ist nach muslimischer Auffassung nicht grundsätzlich verdorben und daher gibt es sündlose Menschen, beispielsweise die Propheten, die Allah zu den Menschen gesandt hat. Nach Meinung muslimischer Theologen haben die Propheten niemals eine Sünde begangen. Der Koran nennt allerdings etliche Beispiele für Propheten, die um Vergebung ihrer Sünden gebeten haben: Adam in Sure 7,23;
Noah in Sure 11,47; Abraham in Sure 14,41; Mose in Sure 28,16; David in Sure 38,24, Muhammad in Sure 110,3 und 48,2. Interessanterweise findet sich im Koran keine einzige Stelle,
die von einer Sünde Jesu berichtet.
Gottesbild
Christlicher Glaube:
Gott schuf die Menschen als sein Ebenbild. Er hauchte dem Menschen seinen Geist ein und offenbart sein Wesen in der Schöpfung (1 Mo 1,26 ff.; Röm 1,18ff.). Gott legt sich durch seine Verheißungen eindeutig fest. Was er zusagt, geschieht und was er verspricht, das hält er ein. Der Gottessohn Jesus wurde Mensch und damit zur Brücke zwischen Gott und Mensch (Joh 14,6).
Muslimischer Glaube:
Gott ist zwar der Schöpfer der Welt und damit der Menschen, aber er ist von der Schöpfung vollkommen getrennt. Der Mensch ist nicht Gottes Ebenbild, denn es gibt keine Verbindung und keinen Vergleich zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen. Allah handelt nach seinem absoluten, unumschränkten Willen. Letztlich kann kein gläubiger Muslim wissen, ob er ins Paradies eingehen wird. Er hofft darauf und versucht sich zu Lebzeiten an Gottes
Gebote zu halten, aber er weiß es nicht mit letzter Gewissheit.
Voraussagen über Gottes Handeln im Jenseits würden nach muslimischer Auffassung die Souveränität seines Handelns einschränken.
Fortsetzung folgt